Wäh­len gehen…?

Demo­kra­tie oder nur eine Illu­si­on? War­um Wah­len nicht das hal­ten, was sie ver­spre­chen

Vor­wort

Der nach­fol­gen­de Arti­kel ist aus­schließ­lich mei­ne per­sön­li­che Mei­nung und nicht der gesam­mel­te Aus­druck der Bür­ger für Laden­burg. Ich möch­te die­ses mei­nem Text vor­an­stel­len, weil ich um die Befind­lich­kei­ten der Laden­bur­ger Pres­se­land­schaft und deren oft­mals pola­ri­sie­ren­de Wie­der­ga­be von Mei­nun­gen weiß. Wer mit mir über den Inhalt dis­ku­tie­ren möch­te oder sei­ne abwei­chen­de Mei­nung dazu hat kann dies mit mir pri­vat und per­sön­lich tun oder hin­ter­lässt hier einen Kom­men­tar.

Prä­am­pel

Eigent­lich woll­te ich einen Arti­kel zum The­ma „wäh­len gehen“ schrei­ben, um mei­ne Mit­bür­ger zu moti­vie­ren, zur Bun­des­tags­wahl am kom­men­den Wochen­en­de teil­zu­neh­men. Aller­dings kann ich per­sön­lich immer weni­ger mit die­ser Form als ein­zi­gem Bei­trag des Bür­gers zur Demo­kra­tie­aus­übung etwas abge­win­nen. Man legi­ti­miert letzt­end­lich durch die­ses Pla­ce­bo nur ein Sys­tem, des­sen Kern­ge­schäft es ist, den Bür­ger zu kon­trol­lie­ren, zu unter­drü­cken und sei­nes Gel­des zu berau­ben. Auch, gegen die­sen Gewalt aus­zu­üben, wenn sei­ne geäu­ßer­te Mei­nung nicht der des Main­streams und der herr­schen­den Poli­ti­ker­kas­te ent­spricht – zahl­rei­che erlas­se­ne Geset­ze der letz­ten Zeit bewei­sen die­ses Ziel. Es macht also kei­nen Sinn, irgend­ei­ne (egal wel­che) Par­tei zu wäh­len, die vor­gibt, bestimm­te Pro­ble­me ein­zu­däm­men, aber ande­re unbe­ant­wor­tet lässt. Wie kann ich also ande­ren emp­feh­len wäh­len zu gehen, wenn mich selbst star­ke Zwei­fel quä­len, ob Wah­len prin­zi­pi­ell das hal­ten kön­nen, was sie ver­spre­chen. Nach­fol­gend mei­ne kri­ti­schen Punk­te, um mein dies­be­züg­li­ches Dilem­ma dar­zu­stel­len.

Kri­ti­sche Wahl­auf­for­de­rung („Wäh­len gehen als Scha­dens­be­gren­zung“)

Ich kann aner­ken­nen, dass Wah­len das Sys­tem nicht grund­le­gend ändern, aber argu­men­tie­re, dass sie zumin­dest die schlimms­ten Ent­wick­lun­gen ver­hin­dern könn­ten. Geht es dar­um, die „per­fek­te“ Wahl zu tref­fen? Oder die „am wenigs­ten schäd­li­che“?

Wahl­boy­kott als legi­ti­me Opti­on

Ich kann dis­ku­tie­ren, ob Nicht­wäh­len ein poli­ti­sches State­ment sein kann. Und falls es dar­um geht, das Sys­tem durch Nicht­wahl nicht zu legi­ti­mie­ren, müss­te ich mich fra­gen: Wel­che Kon­se­quen­zen hät­te eine nied­ri­ge Wahl­be­tei­li­gung tat­säch­lich? Gibt es alter­na­ti­ve Wege, poli­tisch Ein­fluss zu neh­men? (z. B. zivi­ler Unge­hor­sam, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, direk­te Aktio­nen, Bür­ger­be­tei­li­gung auf kom­mu­na­ler Ebe­ne – wie hier die Bür­ger für Laden­burg)

Wah­len als Werk­zeug für Ver­än­de­rung – aber nicht als Lösung

Ich kann argu­men­tie­ren, dass Wah­len nicht die Ant­wort auf alle Pro­ble­me sind, aber als tak­ti­sches Mit­tel genutzt wer­den könn­te. „Ich wäh­le nicht, weil ich das Sys­tem lie­be, son­dern weil ich den Scha­den begren­zen will, wäh­rend ich an einer ech­ten Alter­na­ti­ve arbei­te.“

Gegen das Sys­tem, aber trotz­dem Ein­fluss neh­men

Ich könn­te auch dar­auf ein­ge­hen, dass es bestimm­te Par­tei­en oder Bewe­gun­gen gibt, die eine grö­ße­re Sys­tem­kri­tik ver­tre­ten, auch wenn sie selbst Teil des Par­tei­en-Sys­tems sind. Wel­che sind das genau und was wol­len die im Ein­zel­nen…?

Oder ist es bes­ser, das Sys­tem von innen zu beein­flus­sen? Oder bes­ser, sich ganz zu ver­wei­gern?

In mei­nen Gesprä­chen zum The­ma brach­te es ein Freund auf den Punkt. Er schlug vor, die zur Wahl ste­hen­den Par­tei­en haupt­säch­lich nach einem ein­zi­gen Kri­te­ri­um aus­zu­su­chen:
Was haben die­se in der Ver­gan­gen­heit vor der Wahl gesagt und was wur­de nach dem Wahl­sieg dann tat­säch­lich von denen gemacht. Ist das deckungs­gleich? Ist das Nach­her völ­lig ver­schie­den vom Vor­her gesag­ten? Wur­den wir als Wäh­ler belo­gen? Ent­schei­det eine klei­ne Kas­te intern über Wohl und Wehe – oder haben Wäh­ler auch nach der Wahl eine Mög­lich­keit der Mit­spra­che oder Ein­fluss­nah­me beim zu Wäh­len­den? Was ist mit Trans­pa­renz; was mit tat­säch­li­cher Bür­ger­nä­he? Han­delt der Gewähl­te so, dass der Wäh­len­de der Sou­ve­rän bleibt und nicht Vasalle ist?

Da bleibt mir aktu­ell als wähl­ba­re Alter­na­ti­ve nicht viel übrig.

Die Illu­si­on der Wahl­ver­spre­chen

Vie­le Par­tei­en erzäh­len vor der Wahl, was die Wäh­ler hören wol­len, und bre­chen ihre Ver­spre­chen danach blitz­schnell. Vie­le Bei­spie­le aus der Ver­gan­gen­heit zei­gen, dass Macht­in­ter­es­sen meist Vor­rang vor tat­säch­li­chen Refor­men haben – auch wenn etwas ande­res gesagt wur­de. Die Wäh­ler wer­den alle paar Jah­re zur Legi­ti­ma­ti­on auf­ge­ru­fen, aber ech­te Ein­fluss­mög­lich­kei­ten blei­ben völ­lig begrenzt.

Demo­kra­tie ≠ Wahl­de­mo­kra­tie

Die aktu­el­le par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie ist mehr ein Sys­tem zur Kon­trol­le der Mas­sen als ein Instru­ment ech­ter Selbst­be­stim­mung. Eine wah­re Demo­kra­tie müss­te mehr direk­te Mit­spra­che ermög­li­chen, nicht nur ein Kreuz alle paar Jah­re. Min­der­hei­ten­mei­nun­gen haben in die­sem Sys­tem meis­tens kei­ne Chan­ce, weil die­ses auf Mehr­heits­ent­schei­dun­gen beruht – was zu Tyran­nei der Mehr­heit führt. Das konn­te man in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit sehr gut stu­die­ren, in der eine über 20%ige Min­der­heit von der Mehr­heit und deren gewähl­ten Ver­tre­tern beschimpft und schi­ka­niert wur­de. Das Grund­ge­setz, was dies eigent­lich ver­hin­dern soll­te, wur­de dafür kur­zer­hand außer Kraft gesetzt.

Stra­te­gien für den Umgang mit die­sem Dilem­ma

Soll man also trotz­dem wäh­len, um das gerin­ge­re Übel zu wäh­len? Oder ist es sinn­vol­ler, alter­na­ti­ve For­men der Mit­be­stim­mung zu suchen? Ist Wahl­boy­kott eine ech­te Lösung oder führt er nur dazu, dass die bestehen­den Macht­struk­tu­ren noch weni­ger Wider­stand spü­ren?

Wie könn­te ein Sys­tem aus­se­hen, das tat­säch­lich auf Mit­be­stim­mung basiert und nicht auf Kon­trol­le? Das aktu­el­le Wahl­sys­tem dient m.M.n. nicht wirk­lich der Demo­kra­tie, son­dern eher der Kon­trol­le. Eine ech­te Demo­kra­tie müss­te den Bür­ger als Sou­ve­rän ernst neh­men – und das ist im aktu­el­len Sys­tem nicht der Fall.

Wer wählt, legi­ti­miert ein Sys­tem, das den Bür­ger igno­riert

Wah­len sind kein Instru­ment der Mitbestim­mung, son­dern ein Mecha­nis­mus zur Machterhal­tung. Egal, wer regiert – zen­tra­le poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen ori­en­tie­ren sich an den Inter­es­sen der Mäch­ti­gen, nicht an den Wün­schen der Bür­ger. Bür­ger­be­tei­li­gung über das Kreuz auf dem Stimm­zet­tel hin­aus ist nicht vor­ge­se­hen. Nach der Wahl sind die Wäh­ler wie­der und wei­ter macht­los.

Wahl­ver­spre­chen als Täu­schungs­ma­nö­ver

Par­tei­en ver­spre­chen vor der Wahl Din­ge, die sie nach der Wahl nicht umset­zen – oft wird sogar das Gegen­teil vom Gesag­ten getan. Macht­struk­tu­ren blei­ben unab­hän­gig von irgend­wel­chen Wahl­er­geb­nis­sen bestehen. Der Staats­ap­pa­rat, Büro­kra­tie und Lob­by­is­mus set­zen die eigent­li­che Poli­tik durch. Statt ech­ter Mit­spra­che erhal­ten wir ein medi­al insze­nier­tes Spek­ta­kel, bei dem das Ergeb­nis aber letzt­lich immer das­sel­be bleibt.

Wahl­de­mo­kra­tie ist kei­ne ech­te Demo­kra­tie

Wah­re Demo­kra­tie bedeu­tet Mit­be­stim­mung – nicht alle paar Jah­re durch ein Kreuz auf dem Wahl­zet­tel, son­dern kon­ti­nu­ier­lich im Mit­tun. In unse­rem Sys­tem domi­nie­ren Par­tei­en, die sich selbst erhal­ten wol­len. Das Volk als Sou­ve­rän wird igno­riert. Min­der­hei­ten­mei­nun­gen wer­den sys­te­ma­tisch aus­ge­grenzt, anstatt ein ech­tes Gleich­ge­wicht her­zu­stel­len.

Was tun? Wege aus der Pseu­do-Demo­kra­tie

Ist es sinn­voll, eine Par­tei zu wäh­len, die das Sys­tem kri­tisch sieht? Oder reicht das nicht aus? Wel­che ande­ren For­men der poli­ti­schen Teil­ha­be gibt es? Direk­te Demo­kra­tie, Bür­ger­fo­ren, radi­ka­le Dezen­tra­li­sie­rung, Selbst­be­stimm­te Demo­kra­tie? Infor­mie­re dich bit­te; es gibt zahl­rei­che Ange­bo­te.

Denn ist es für unse­re Demo­kra­tie lang­fris­tig wirk­lich sinn­voll, wenn 98% Par­tei­lo­se von 2% Par­tei­an­ge­hö­ri­gen „bevor­mun­det“ und regiert wer­den? Ich den­ke nein. Lasst uns gemein­sam die­sen Zustand been­den und eine neue Form der Demo­kra­tie auf­bau­en.

Stell Dir vor, es ist Demo­kra­tie und Du könn­test selbst mit­be­stim­men.

Nicht aller paar Jah­re, son­dern immer dann, wenn es um dir wich­ti­ge Din­ge geht: Wer Kanzler(in) wer­den soll. Wofür die Steu­er­gel­der aus­ge­ge­ben wer­den. Ob Deutsch­land sich an Krie­gen fern der Hei­mat betei­ligt. Wel­che und ob medi­zi­ni­sche Daten an Phar­ma-Kon­zer­ne abge­ge­ben wer­den. Ob Bar­geld abge­schafft wer­den darf oder ob Gen­ma­ni­pu­la­ti­on unse­re Zukunft sein wird – bei Nah­rung und Gesund­heit. Ob Brüs­sel ent­schei­det, wie ich hei­zen darf oder wie hoch die Besteue­rung der Luft sein wird…

Stell Dir vor, es ist Demo­kra­tie…

Jörg wies mich heu­te auf die­sen Bei­trag von Ulri­ke Gué­rot bei You­Tube hin, in der sie das klei­ne Buch von Simo­ne Weil hin­weist: »Anmer­kung zur gene­rel­len Abschaf­fung der poli­ti­schen Par­tei­en«.
Ich möch­te auf ihn ver­wei­sen und hier ver­lin­ken: